Gelsenkirchen/Unna/Köln, 18. November 2021. Die Aufgabenträger für den Schienenpersonennahverkehr (SPNV) in Nordrhein-Westfalen, der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR), der Nahverkehr Westfalen-Lippe (NWL) und der Nahverkehr Rheinland (NVR) können nach eingehender Prüfung das Angebot der Abellio Rail GmbH zur Fortführung der Verkehre in Nordrhein-Westfalen nicht annehmen. Sie haben einen entsprechenden Beschlussvorschlag ihren Gremien zur Kenntnisnahme und Entscheidung vorgelegt.
Zur Begründung führen die Aufgabenträger an, dass Abellio trotz deutlicher Hinweise, in welchen Punkten ihr letztmögliches Angebot Nachbesserungen im Vergleich zu den bisherigen Vorschlägen enthalten müsste, keinen nennenswerten neuen Beitrag vorgelegt hat. VRR, NWL und NVR streben deswegen die Neuvergabe der betroffenen Verträge an. Wer die betreffenden Linien in Zukunft bedienen könnte, ermitteln die Aufgabenträger derzeit in einer freiwilligen ex-ante-Transparenzbekanntmachung (oder sogenannten Ex-Ante-Ausschreibung) zur Neuvergabe. Oberste Priorität hat für die Aufgabenträger die Absicherung von Zuverlässigkeit und Qualität auf den derzeit von Abellio in NRW und angrenzenden Räumen betriebenen Linien sowie die Sicherung der Arbeitsplätze der derzeit noch bei dem EVU beschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Im Falle der Direktvergaben sollen keine Arbeitsplätze verloren gehen, die Aufgabenträger werden den Übergang von an einem Wechsel interessiertem Personal unterstützen.
„Vier Stunden, bevor das aktuelle Angebot bei den Aufgabenträgern eingegangen ist, hat die Abellio Rail GmbH eine Presseinformation mit der Ankündigung der beabsichtigten Angebotsabgabe an die Medien versandt. Dieser, VRR, NWL und NVR als Vertragspartnern gegenüber, beispiellose Vorgang, hat auf unserer Seite den Eindruck erweckt, dass Abellio die Bekanntmachung der Abgabe mitsamt der unternehmenseigenen Einordnung wichtiger ist als das Angebot selbst“, erklärt VRR-Vorstandssprecher Ronald R.F. Lünser. „Und dieser Eindruck hat sich bei eingehender Prüfung dieses Vorschlags leider in gleich vielfacher Hinsicht bestätigt: Abellio hat keinen dreistelligen Millionenbetrag zur Kompensation der wirtschaftlichen Schäden angeboten, auch, wenn das Unternehmen dies zum wiederholten Male in die Öffentlichkeit getragen hat. Zutreffend ist, dass das Angebot nach wie vor nur einen mittleren zweistelligen Millionenbetrag umfasst, der allerdings - ausgerichtet am Gesamtschaden der Aufgabenträger - lediglich einen Beitrag von 16 Prozent leisten würde. Von einer signifikanten Abstandszahlung als Kompensation für die Mehrkosten aufgrund der von Abellio gewünschten vorzeitigen Beendigung der Verkehrsverträge für die Linien RRX und das S-Bahnnetz Rhein-Ruhr kann daher auch in diesem neuen Angebot leider nicht die Rede sein. Insgesamt weicht dieses Angebot so evident von unseren Prämissen ab, dass wir es schlechterdings nicht akzeptieren können.“ Abellio wollte die S-Bahn-Verbindung 7, das Niederrheinnetz und das Ruhr-Sieg-Netz bis zum Ende der ursprünglich vereinbarten Vertragslaufzeiten im Jahr 2028 beziehungsweise 2034 bedienen. Die Linien RE 1 (RRX) von Aachen bis Hamm und RE 11 (RRX) zwischen Düsseldorf und Kassel sowie das S-Bahn-Netz Rhein-Ruhr hingegen wollte das EVU lediglich bis Ende Dezember 2023 betreiben.
Abellio befindet sich derzeit in einem sogenannten regulären Schutzschirmhauptverfahren in Eigenverwaltung zur Sanierung. Ronald R.F. Lünser weist ausdrücklich darauf hin, dass sich die Aufgabenträger ihrer Verantwortung im Hinblick auf das Ausmaß ihrer Entscheidung bewusst sind. „Uns allen ist klar, was das für das Unternehmen Abellio und insbesondere für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bedeutet. Aber es gab in den vergangenen Wochen etliche Möglichkeiten, uns von der Ernsthaftigkeit einer Fortsetzung der Zusammenarbeit zu überzeugen. Mit einer solchen Verweigerungshaltung schadet sich das Unternehmen selbst und geht zudem fahrlässig und verantwortungslos mit der Zukunft seiner Belegschaft um. Da ist von Abellio und den Beratern bedauerlicherweise viel Vertrauen verspielt worden.“
Umso wichtiger ist es aus Sicht von VRR, NWL und NVR nun, den aktuell bei Abellio beschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine Perspektive zu bieten. Im Rahmen der anstehenden Überleitungen an andere EVU auf den bislang von Abellio betriebenen Strecken wollen die Aufgabenträger den Übergang von an einem Wechsel interessiertem Personal begleiten und unterstützen. Aber auch Abellio ist dazu aufgerufen, einen solchen Prozess aktiv zu unterstützen. „Wir sehen, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Abellio in dieser schon seit Monaten belastenden Situation ihr Bestes geben und hervorragende Arbeit leisten“, sagt Joachim Künzel, Geschäftsführer des NWL. „Uns ist es daher umso wichtiger, diesen hochqualifizierten Fachkräften zu sagen, dass sie mit ihren Fähigkeiten auch in Zukunft gebraucht werden, um die Verkehre auf den derzeit von Abellio betriebenen Linien weiterhin in hoher Qualität zu sichern.“ Bis zum 31. Januar 2022 ist das EVU aufgrund einer Ende September mit den Aufgabenträgern abgeschlossenen Fortführungsvereinbarung verpflichtet, die Verkehre im bisherigen Umfang zu leisten. Hierfür haben die Aufgabenträger dem EVU gesondert acht Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Zielsetzung im Anschluss ist es, den aktuell gültigen Fahrplan auch weiterhin möglichst umfänglich umzusetzen – die dafür derzeit von Abellio eingesetzten Fahrzeuge sind Eigentum von VRR, NWL und NVR und können hierfür entsprechend genutzt werden.
Sollten die Gremien den Vorschlägen der Aufgabenträger folgen, werden VRR, NWL und NVR noch im Dezember Maßnahmen einleiten, um die betroffenen Verkehre mit möglichst geringen betrieblichen Auswirkungen weiterzuführen. „Trotz der anspruchsvollen Rahmenbedingungen werden wir alle gemeinsam unser Bestes tun, um den Fahrplan so weit wie möglich aufrecht zu erhalten“, so Heiko Sedlaczek, Geschäftsführer des NVR. „Unser Ziel ist es, die Einschränkungen für die Fahrgäste so gering wie möglich zu halten. Wir werden unsere Fahrgäste aber in jedem Fall frühzeitig über etwaige Änderungen informieren, damit sich diese hinsichtlich ihrer Reiseplanung darauf einstellen können.“
Im kommenden Jahr werden VRR, NWL und NVR dann alle betroffenen Linien regulär für einen langfristig gesicherten Verkehr neu ausschreiben.